Angeregt durch einen Diskussionsbeitrag von
@othertwice (Isabella Mader: #Konsequenter_Realismus ) auf Twitter, beschäftige ich mich heute mit Frau Ehrenreichs ehrenvoller Provokation, das sog. Positive Denken als Ideologie nochmal auf den Prüfstand zu stellen. Sie veranschaulicht ihre Kritik in einem lustigen Filmchen auf
RSA Animate
in Englischer Sprache.
Zum Glück gibt's ihr Buch schon in Deutsch. Pressestimmen und eine Inhaltsbeschreibung zum Buch werde ich an dieser Stelle komplett von Amazon.de übernehmen. Zwei interessante Kommentare dazu werden von mir im Anhang per Link angegeben: "Pressestimmen
"Von Zeit zu Zeit erscheint ein Buch, das mit dem eigenen Denken so im Gleich klang ist und dabei mit der herrschenden Modephilosophie so gekonnt abrechnet, dass sich ein tiefes Gefühl der Erleichterung einstellt Ich soll hier zwar eine Kritik schreiben, finde aber darüber verdammt noch mal nur Positives zu sagen." Guardian
"Mit grimmigem Witz demontiert Ehrenreich den künstlichen Frohsinn des positiven Denkens." Bookseller
"In ihrer scharfsinnigen Erkundung der Überzeugungskraft des positiven Denkens warnt Ehrenreich vor dem fahrlässigen Optimismus, der Individuen wie ganze Nationen dazu verführt, unvermeidliche Katastrophen auszublenden." Booklist
"Barbara Ehrenreichs Studie der wahnhaften Welt des amerikanischen Optimismus ist faszinierend, oft unglaublich komisch und ganz und gar überzeugend ein enorm unterhaltsames und zugleich beunruhigendes Buch." Sunday Times
"Eines von Ehrenreichs großen Talenten als Schriftstellerin ist es, genau die richtige Anekdote in den Fokus ihrer witzigen Kritik zu stellen ein mitreißendes, prägnantes, witziges Buch." The Times
Kurzbeschreibung
»Sei positiv! Optimisten leben länger! Der Erfolg ist in dir!« Seit Jahrzehnten künden Ratgeber und Motivationstrainer von der grenzenlosen Macht positiven Denkens. Glück, Gesundheit, Reichtum und beruflicher Erfolg so die Botschaft sind für jeden jederzeit erreichbar, eine lückenlos positive Grundhaltung vorausgesetzt. Selbst schuld, wer da noch Sorgen hat oder gar die Ursachen seiner Probleme in der Realität vermutet. Arbeitslose erfahren, einzig der Ton ihrer Bewerbung entscheide über deren Erfolg. Selbst Krebskranke werden heute gewarnt, eine »negative Haltung« könne ihre Heilung gefährden. Wie konnte aus dem harmlosen Lob einer optimistischen Lebenseinstellung eine kulturelle Glaubenswahrheit mit zunehmend zwanghaften Zügen werden? Mit kritischer Intelligenz und beißendem Spott nimmt Ehrenreich eine blühende Bewusstseinsindustrie unter die Lupe, die mit »Positive Thinking« inzwischen Milliarden verdient. Trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz haben »positive Psychologie« und Glücksforschung inzwischen sogar die Universitäten erobert. Doch nirgendwo ist das Ausblenden der Realität stärker verbreitet als in der Wirtschaft: Die Weigerung, negative Entwicklungen überhaupt ins Auge zu fassen, hat so Ehrenreich wesentlich zum jüngsten Crash beigetragen. Eine »erfrischend aggressive und glänzend intelligente Attacke auf das Nonsense-Monster mit den tausend Armen« (Daily Mail), zugleich ein überfälliges Plädoyer für eine Rückkehr zu Realismus und gesundem Menschenverstand."
Ich selbst bin weder einer "dieser Motivationstrainer" noch unterstütze ich die Ideologie im Grundsatz.
In meiner jahrelangen Praxis haben sich jedoch zwei Aspekte des Ansatzes bewährt, zumindest wenden meine Kunden diese erfolgreich an:
Der NLP-Approach: Es ist sehr wohl ein Unterschied, mit welcher Formulierung ich einen Wunsch oder ein Ziel beschreibe. Die Verkürzung auf den "positiven und affirmativen Charakter" ist - anders als die von Frau Ehrenreich vorgeführten "Positivdenker" glauben mögen - nicht das entscheidende Merkmal. Ein Ziel wird offensichtlich dann mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht, wenn es 3 Kriterien erfüllt:
- "Ich muss einen eigenen Beitrag zum Erreichen des Zieles leisten können." Je größer dieser Beitrag ist, um so wahrscheinlicher ist der Erfolg. Die richtige Einschätzung der eigenen Position und Ausgangslage ist also von entscheidender Bedeutung und ein Ausdruck für Realismus. Je ungünstiger die Position oder die von mir kontrollierbaren Einflussgrößen, umso fraglicher ist, ob das Ziel erreicht werden kann.
- "Ich muss auf irgend eine Weise durch meine 5 Hauptsinne (Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken) wahrnehmen können, wenn mein Wunsch in Erfüllung geht, bzw. mein Ziel erreicht wird. Auch darin drückt sich ein großes Maß an Realismus aus: Je konkreter ein Ziel formuliert (und in Teilziele operationalisiert) ist, um so besser kann ich es auch gedanklich antizipieren, um vorher zu überprüfen, ob ich das Ziel auch tatsächlich haben möchte (Gewünscht ist's schließlich schnell und es gibt eine Menge Witze darüber, was bei unüberlegten Wünschen für Konsequenzen möglich sind :) Dies erlaubt mir auch - und darauf liegt ein besonderer Schwerpunkt - den ökologischen Gehalt eines Wunsches zu überprüfen (Mal angenommen, der Wunsch geht in Erfüllung, welche Nebenwirkungen wird das haben?). Die ökologische Balance ist also für ein designiertes Ziel ein entscheidendes Kriterium. Ein weiterer interessanter Vorteil: Je deutlicher und (be-) greifbarer mir mein Ziel vor Augen schwebt, um so einfacher werde ich bemerken, wenn ich am Ziel angekommen bin. Das vereitelt einen idealisierenden Selbstbetrug am Besten.
- Darin liegt auch der Hauptgrund dafür, dass eine exakte Einhaltung folgender Grammatik für den Erfolg von Wünschen wichtig ist: "Die Formulierung darf keine Verallgemeinerung enthalten". Wenn sie dies dennoch tut ( z.B.: "Ich möchte endlich ein normales Leben führen") wird die Überprüfung des Erfolgs genauso schwammig, wie wenn ich den konkreten Wunsch (z.B. "Ich will mich gut fühlen!") durch Vergleiche (z.B.: "Ich will mich besser fühlen!") aufweiche.( "Die Formulierung darf keinen Vergleich enthalten") . Sobald ich dies tue, muss ich mich natürlich fragen: "Fühle ich mich heute schon ein Bisschen besser? Oder bilde ich mir das nur ein?" , während ich "gut" sehr genau wahrnehmen kann. Last but not least, und vermutlich hat genau dieses grammatische Merkmal sehr zur ideologisierbaren Verkürzung beigetragen: Weil das menschliche Gehirn auf analoge, positive Wahrnehmung hin formulierte Sätze wesentlich schneller verarbeiten kann, ist es ratsam, der blitzschnellen und einfachen Denkstruktur des eigenen Gehirns eine passende Formel anzubieten. Der Wunsch soll direkt auf das Ziel hin ausgerichtet sein und komplexe Umwege von vorn herein ausschließen. Wenn ich im Gegensatz dazu mein eigentliches Ziel dadurch eingrenze, indem ich es durch Ausschlusskriterien einkreise, wird meine Aufmerksamkeit zu sehr durch Negativfixierungen abgelenkt. "Die Formulierung darf keine Verneinung enthalten!" Vollziehen Sie eben mit mir gemeinsam das beliebte Gedankenexperiment: "Denken Sie jetzt bitte auf keinen Fall an einen weißen Elefanten!" (Jeder, der's versucht, wird daran - wenn er ehrlich ist - automatisch scheitern müssen). Konsequenz: Wenn ich mir auf diese Weise ständig vor Augen halte, was ich nicht erreichen möchte, halte ich meine Aufmerksamkeit von meinem Ziel ab und nicht nur das: Je unangenehmer und angsteinflößender das ist, was ich nicht erreichen will, um so bedrohlicher und allgegenwärtiger wird seine Präsenz in meiner Aufmerksamkeit. Die (nahezu-) Mechanik der in der Hirnforschung und Verhaltensforschung in Länge und Breite vorgeführten selektiven Wahrnehmung (Was mir bekannt ist und was ich für wahrscheinlicher halte, nehme ich wesentlich häufiger wahr als das mir Abstruse und Unwahrscheinliche) tut ein Übriges und so steigt in der Tat das Risiko, dass ich mich zwanghaft auf mein Scheitern hin ausrichte, bis ich mich "merkwürdig erleichtert" in meiner Weltwahrnehmung bestätigt fühle, wenn ich das Ziel eben doch nicht erreicht habe. (War ja auch von vornherein unwahrscheinlich :) .
In der verkürzenden Ideologie des Positiven Denkens wurde also ein ursprünglich auf profunden Realismus zielender und sehr erfolgversprechender Ansatz verballhornt und hat sich - in dieser Prägung - auf lange Hand selbst oft genug Ad Absurdum geführt, wie eben von Barbara Ehrenreich ehrenvoll, und davor schon von Günter Scheich ("Positives Denken macht krank") und Theo Fischer ("Wu wei - die Lebenskunst des Tao", Kapitel: "Tao statt Positives Denken") aufgezeigt und kritisiert.
Schade wäre jedoch, wenn der ursprünglich wertvolle, forschungsbasierte Gesamtkontext, und die daraus entwickelte hilfreiche Methode zur Planung (siehe 1.-3.) wie "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet" würde.
Der ZEN-Approach: Je einfacher, je besser. Wahrnehmung und Bewusstsein haben einen großen Einfluss darauf, wie wir unsere Welt begreifen und gestalten. Zielgerichtete Aufmerksamkeit hat sowohl im ZEN als auch in der buddhistischen Psychologie eine jahrtausende währende Tradition und ist auch in den alten vedischen Schriften fest verankert. Während diese jedoch den Materialismus transzendieren, hat der NLP-Approach interessanter Weise auf materieller Ebene das gleiche Anliegen zum Inhalt (das Lernen der oben diskutierten Regeln 1-3 führt auch zu zielgerichteter Aufmerksamkeit.
Wer beginnt, sich mit Meditation eingehender zu beschäftigen, tut also gut daran, im Zusammenhang der
Seelenfragen (insbesondere der 2. Frage), zunächst eben diese
Spielregeln für die Formulierung seiner
Wünsche anzuwenden.
Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögen steigen mit der Ebene des Bewußtseins, und diese hängt von der Erfahrung und der Praxis des Meditierens ab.
Vorläufiges Fazit:
- Gestatten Sie sich weiterhin, zu Wünschen oder Ziele zu formulieren, schließlich ist diese Fähigkeit für die meisten eine wichtige Lebensmotivation.
- Seien Sie in der Formulierung Ihrer Wünsche so genau, so zielgerichtet und so einfach wie möglich.
- Lernen Sie zu unterscheiden und
- zu realistischen und verantwortungsvollen Zielformulierungen zu kommen.
- Diese sind Ihre Eintrittskarte, um aus der Quelle eines unerschöpflichen inneren und äusseren Reichtums zu schöpfen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihr Jahr 2012 und alle weiteren Jahre Glück und Erfolg. Natürlich freue ich mich auf Ihre Rückmeldungen, kritische Anmerkungen, Diskussionsbeiträge, Weiterempfehlungen hier oder auf
Twitter.
(Quellen: